Streufunktion beschreibt das charakteristische Bewegungsmuster von E. Coli
Forscher:innen der Universität Innsbruck haben gemeinsam mit einem internationalen Team die Bewegungsmuster des Bakteriums Escherichia coli beschrieben. Dafür nutzten sie einen genmodifizierten Bakterienstamm, Experimente unter dem Mikroskop und komplizierte Funktionen.
Escherichia coli ist eine der weltweit bekanntesten Bakterien. Nicht nur, dass sie sich zuhauf in unserem Darm findet, sie ist auch ein beliebter Modellorganismus in der Forschung. Unter dem Mikroskop sind E. coli-Bakterien als wimmelnde Stäbchen zu erkennen, die immer in Bewegung sind. Wie diese Bewegung genau aussieht, wurde nun von mehreren Teams in einem internationalen Forschungsprojekt untersucht. Die Forscher:innen züchteten dafür unter anderem einen neuen Bakterienstamm, dessen Bewegungsabläufe sich steuern lassen, und verglichen experimentelle Daten mit einem physikalischen Modell, das die Bewegungsmuster von E. coli über lange Zeiträume beschreibt und durch die Studie bestätigt wurde.
Der Vergleich von Experimenten und Theorie durch eine intermediäre Streufunktion ist die Leistung der Tiroler Wissenschaftlerin Christina Kurzthaler. Diese Arbeit begann im Rahmen ihrer Doktorarbeit in der Forschungsgruppe von Thomas Franosch am Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck. Kurzthaler ist eine der Erstautorinnen der Studie und leitet heute eine eigene Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden. Ihre Arbeit wurde gerade als Editor’s Pick in Physical Review Letters veröffentlicht, einer der wichtigsten Fachzeitschriften der Physik.
Schwimmen und Taumeln
Die Bewegung von E. coli wird in der Biophysik durch das „Run and Tumble“- Modell beschrieben. Mithilfe vieler kleiner Geißeln schwimmen die Bakterien in eine bestimmte Richtung. Dann geht die Bewegung in ein Taumeln über und die Bakterie vollzieht einen Richtungswechsel. Dieses charakteristische Verhalten ist schon lange bekannt, konnte bisher aber nicht genau beschrieben werden. So war es beispielsweise kaum möglich zu messen, wie lange die Bakterien schwimmen, bevor sie zu taumeln beginnen.
„E. coli Bakterien bewegen sich sehr schnell in einem dreidimensionalen Raum, da sie in einer Lösung schwimmen. Diese Bewegung ist schwer zu messen, weil dies sehr viele Daten erfordert“, sagt Kurzthaler. „Einzelne Bakterien über lange Zeit zu verfolgen ist sehr aufwändig und benötigt spezielle experimentelle Instrumente.“ Das Taumelverhalten ist für das Bakterium sehr wichtig, denn es nutzt es bei der Futtersuche oder bei der Flucht vor giftigen Stoffen. „Dieses Verhalten genau zu kennen, eröffnet viele neue experimentelle Möglichkeiten“, so Kurzthaler.
Bestätigung durch Streufunktion
Um eine genaue Beschreibung der Bewegungsabläufe durchzuführen, entwickelten Partnergruppen an chinesischen Forschungseinrichtungen einen gentechnisch bearbeiteten E. coli-Stamm, bei dem die Häufigkeit des Taumelns verringert oder erhöht werden kann, wenn sie in bestimmten chemischen Lösungen heranwachsen. Eine Gruppe an der Universität von Edinburgh führte an diesen Bakterien Experimente durch und nahm mikroskopische Bilder der gesamten Bakterienpopulation zu mehreren Zeitpunkten auf. Die so gesammelten Daten analysierten die Innsbrucker Forscher:innen anhand einer von Kurzthaler entwickelten intermediären Streufunktion. Diese misst indirekt die Verteilung der Bakterien in Raum und Zeit und liefert somit Information über ihre Dynamik. Dadurch ließen sich eine Vielzahl von Daten über lange Zeiträume berechnen, zum Beispiel die Geschwindigkeit der Bakterien und die Dauer des Taumelns. Heraus kam eine detaillierte Beschreibung der Bewegung von E. coli-Bakterien im dreidimensionalen Raum.
„Das Modell des Run-and-Tumble selbst ist nicht neu“, sagt Franosch. „Unser Lösungsansatz, eine Bewegung im Raum mit numerischen Lösungen am Computer zu berechnen, schon. In anderen Gebieten wie der Festkörperphysik ist das bereits Gang und Gäbe, in der Biophysik aber eine Innovation. Und dabei kommt etwas Faszinierendes heraus: dass dieses wirklich simple Run-and-Tumble Modell die Bewegung der Bakterien perfekt beschreibt. Wir haben es mit unserer komplizierten Funktion überprüft und konnten keine Abweichung feststellen. Im Bereich der Biophysik ist es ziemlich erstaunlich, dass ein theoretisches Modell durch Experimente so genau bestätigt werden kann.“
Publikation:
Characterization and Control of the Run-and-Tumble Dynamics of Escherichia Coli.
Christina Kurzthaler, Yongfeng Zhao,Nan Zhou, Jana Schwarz-Linek, Clemence Devailly, Jochen Arlt, Jian-Dong Huang, Wilson C. K. Poon, Thomas Franosch, Julien Tailleur, Vincent A. Martinez. Physical Review Letters, DOI: 10.1103/PhysRevLett.132.038302