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Postbusse als Insektensammler

Innovatives Monitoring erfasst über 3.400 Arten in Österreich

V.l.: Rudi Spiegel (Buslenker Postbus AG), Diedo Gross (Nachhaltigkeitsbeauftragter der Postbus AG) Marjana Ljubisavljevic (Uni Innsbruck, IBM-Projektkoordinatorin) und Michael Traugott (Uni Innsbruck, IBM-Projektleiter) bei der Ergebnispräsentation.
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Von April bis September 2024 dienten Linienbusse in vier österreichischen Bundesländern als mobile Insektenforscher. Mittels moderner DNA-Analysen wurden 3.455 verschiedene Insektenarten nachgewiesen – darunter auch seltene und invasive Arten. Die Methode eröffnet neue Perspektiven für den Insektenschutz in Zeiten der Biodiversitätskrise.
Von April bis September 2024 dienten Linienbusse in vier österreichischen Bundesländern als mobile Insektenforscher. Mittels moderner DNA-Analysen wurden 3.455 verschiedene Insektenarten nachgewiesen – darunter auch seltene und invasive Arten. Die Methode eröffnet neue Perspektiven für den Insektenschutz in Zeiten der Biodiversitätskrise.

Insekten übernehmen in fast allen Ökosystemen essenzielle Aufgaben: Fluginsekten bestäuben etwa 80 Prozent unserer Wild- und Nutzpflanzen, Käfer- und Fliegenlarven unterstützen den Nährstoffkreislauf im Boden, einige Insektenarten (z.B. Marienkäfer, Schlupfwespen) regulieren den Schädlingsbefall. Gleichzeitig sind die sechsbeinigen Lebewesen Nahrung für andere Tiere und somit ein zentrales Glied der Nahrungskette.

Die Artenvielfalt und Populationsstärke von Insekten geht aufgrund von veränderten Umweltbedingungen (schwindende Lebensräume, Klimaerwärmung) stetig zurück. Ökosysteme kommen aus dem Gleichgewicht – mit direkten Auswirkungen auf uns Menschen.

Landkarte des Insektenvorkommens


Ein großflächiges Monitoring, das Auskunft über Vorkommen und Lebensraum gibt sowie Rückschlüsse auf Veränderungen – beispielsweise in Zusammenhang mit der Klimaerwärmung – ziehen lässt, bildet die Grundlage für zielgerichteten Insektenschutz, aber auch für das Erkennen von unliebsamen Arten wie invasiven Schädlingen oder Krankheitsüberträgern.

Herkömmliches Insektenmonitoring mit Keschern oder Fallen ist kosten- und zeitintensiv und ermöglicht nur eine kleinräumige Erfassung des Insektenvorkommens. An der Universität Innsbruck wurde im vergangenen Jahr ein neues Konzept erprobt: Ein Team rund um Prof. Michael Traugott vom Institut für Zoologie initiierte das „Insekten-Bus-Monitoring“-Projekt.

Postbus oder Insektensammler?


„Der neue Ansatz ist ressourcenschonend und zeitsparend“, erklärt Traugott. „Mittels DNA-Analyse werten wir den sogenannten Road Kill aus, also im Straßenverkehr auf der Windschutzscheibe erfasste Fluginsekten. So kommen durch das Monitoring keine Insekten zusätzlich ums Leben.“

Postbusse auf insgesamt 16 Busstrecken in Tirol, Kärnten, Nieder- und Oberösterreich standen von April bis September 2024 als „Insektensammler“ im Dienst der Wissenschaft.
Die Forschenden reinigten drei Mal pro Monat jeweils am Ende eines Einsatztages die Windschutzscheiben und Frontbereiche der Busse mit Mikrofasertüchern. Diese wurden in weiterer Folge mehrmals ausgewaschen. Aus dem Wasser gewannen die Wissenschaftler:innen mittels spezieller Filter die Insekten-DNA (sogenannte eDNA). Diese wurde im Labor in Zusammenarbeit mit der Sinsoma GmbH extrahiert, vervielfältigt und sequenziert. Ein Abgleich mit internationalen DNA-Datenbanken gab Aufschluss über die erfassten Insektenarten.

Umgesetzt wurde das Projekt in Kooperation mit der Postbus AG der ÖBB. Die Finanzierung erfolgte durch den Biodiversitätsfonds Österreich, getragen vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Klimaschutz, Regionen und Wasserwirtschaft (BMLUK), sowie die Europäische Union.

3.455 Insektenarten von Bussen erfasst


In Österreich leben ungefähr 40.000 verschiedene Insektenarten. „Schätzungsweise sind 80 Prozent davon zumindest zeitweise flugfähig“, erklärt Traugott. „Interessanterweise wurden auch einige flugunfähige Arten von den Bussen erfasst.“

In den vier beprobten Bundesländern wies das Forschungsteam 3.455 unterschiedliche Insekten- sowie einige Spinnen- und andere Arthropodenarten nach. Unter den Insekten war die Ordnung der Diptera – also Zweiflügler – mit rund 1.900 verschiedenen Arten am häufigsten vertreten. Zu dieser Ordnung zählen beispielsweise Schwebfliegen, Stubenfliegen und Stechmücken.

Die zweitgrößte Gruppe bildete die Ordnung der Käfer (400 Arten), gefolgt von den Schmetterlingen (260 Arten), Wanzen und Zikaden (210 Arten) sowie den Hautflüglern (190 Arten), denen Bienen, Hummeln und Wespen angehören.

Artenvielfalt: Räumliche und zeitliche Unterschiede


Deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung der Insektengemeinschaften ließen sich im Bundesländervergleich feststellen: Knapp 500 Arten wurden in allen vier Bundesländern nachgewiesen. Zwischen 250 bis 500 Arten wurden jedoch nur in je einem Bundesland entdeckt. „Das zeigt, dass sich das Busmonitoring gut eignet, um lokale Insektengemeinschaften zu erfassen“, so Traugott.

Die DNA-Spuren der Insekten wiesen eine hohe Übereinstimmung mit den Lebensräumen der einzelnen Arten auf. Fuhr eine Buslinie vorwiegend durch Wälder, so war hauptsächlich DNA von Waldinsekten zu finden. Bei Routen durch Agrarland waren Insekten des Offenlandes stark vertreten. „Das mag wenig überraschend klingen, zeigt aber, wie verlässlich das Monitoring per Bus funktioniert“, so der Projektleiter.

Differenzen zwischen den Bundesländern zeigten sich auch im zeitlichen Verlauf: „Während wir in Ober- und Niederösterreich im Frühjahr und Frühsommer die größte Artenvielfalt dokumentierten, verschob sich dies in Tirol und Kärnten auf Juli und August. Vor allem die Höhenlage ist hier ausschlaggebend“, schildert Marjana Ljubisavljevic, Projektkoordinatorin des Forschungsvorhabens. Der zeitliche Verlauf des Insektenvorkommens sei vor allem vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung ein wichtiger Indikator.

Gern gesehen oder unwillkommen?


Unter den erfassten Insekten entdeckten die Wissenschaftler:innen einige seltene Arten: Die Kleine Höckerschrecke wurde in Österreich in den 1960er-Jahren letztmalig nachgewiesen. Man ging davon aus, dass die Spezies in der Zwischenzeit ausgestorben war, nun belegen DNA-Spuren ihr Vorkommen in Tirol.

Mittels großflächigem Insektenmonitoring ist auch die Erfassung von invasiven und schädlichen Arten möglich. Ein Beispiel dafür ist die Marmorierte Baumwanze, die 2016 von Ostasien nach Österreich verschleppt wurde und große Schäden im Obst-, Gemüse- und Weinbau verursachen kann. Auch die Kirschessigfliege wurde als invasiver Schädling im Rahmen des Busmonitorings detektiert.

Gegenspieler von Schadinsekten waren ebenfalls häufig nachweisbar, „darunter die Hainschwebfliege oder der Siebenpunkt-Marienkäfer, der trotz steigender Temperaturen noch immer weit verbreitet ist“, so Ljubisavljevic.
Die Methode erlaubt zudem eine Erfassung des regionalen Vorkommens potenziell krankheitsübertragender Stechmücken, wodurch Gesundheitsrisiken frühzeitig erkannt werden können.


Langfristiges Monitoring


Das Insektenmonitoring mittels öffentlicher Verkehrsmittel ließe sich auf ganz Österreich ausweiten und auch grenzüberschreitend umsetzen. „Die Methode zeigt, dass es kosten- und zeiteffizient möglich ist, ein großflächiges Insektenmonitoring über einen längeren Zeitraum hinweg durchzuführen. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf Veränderungen in der Artenvielfalt, dem zeitlichen und räumlichen Vorkommen sowie der Population schließen. Insbesondere in Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel und der Biodiversitätskrise sind das wichtige Informationen“, so Traugott.
PEAK – Klima, Biodiversität und Nachhaltigkeit im Fokus
PEAK – Klima, Biodiversität und Nachhaltigkeit im Fokus

Die menschengemachte Klimakrise hat bereits heute massive Auswirkungen, die sich künftig weiter verstärken werden. Der Weltklimarat zeigt klare Folgen und mögliche Maßnahmen auf. An der Universität Innsbruck forschen zahlreiche Expert:innen zu Klima und Nachhaltigkeit.

Mit dem Projekt PEAK (Perspectives on Engagement, Accountability and Knowledge) bündelt das Kommunikationsteam der Universität Innsbruck diese Expertise und präsentiert die Köpfe hinter der Forschung.

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Kontakt

Michael Traugott

Michael Traugott
Institut für Zoologie
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 51864
E-Mail:  michael.traugott@uibk.ac.at

Anna Maria Huber
Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 507 32023
E-Mail:
anna.huber@uibk.ac.at