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Spitzenkönner:innen erweitern die Grenzen menschlicher Fähigkeiten, treiben Innovationen voran und helfen, die drängendsten Probleme der Menschheit zu lösen. Dementsprechend haben Gesellschaften ein großes Interesse daran, diese sogenannten Top-Performer:innen in verschiedenen Feldern auszubilden. Doch in puncto Nachwuchsförderung scheint es Optimierungsbedarf zu geben: Eine aktuelle Studie, erschienen in der Fachzeitschrift Science, legt nahe, dass Programme zur Begabtenförderung bislang von falschen Prämissen ausgehen. Ein internationales, interdisziplinäres Forschungsteam hat erstmals Erkenntnisse zur Entwicklung von Weltklasse-Könner:innen in Wissenschaft, klassischer Musik, Schach und Sport zusammengeführt.
Spitzenkönner:innen erweitern die Grenzen menschlicher Fähigkeiten, treiben Innovationen voran und helfen, die drängendsten Probleme der Menschheit zu lösen. Dementsprechend haben Gesellschaften ein großes Interesse daran, diese sogenannten Top-Performer:innen in verschiedenen Feldern auszubilden. Doch in puncto Nachwuchsförderung scheint es Optimierungsbedarf zu geben: Eine aktuelle Studie, erschienen in der Fachzeitschrift Science, legt nahe, dass Programme zur Begabtenförderung bislang von falschen Prämissen ausgehen. Ein internationales, interdisziplinäres Forschungsteam hat erstmals Erkenntnisse zur Entwicklung von Weltklasse-Könner:innen in Wissenschaft, klassischer Musik, Schach und Sport zusammengeführt.
Die traditionelle Begabungs- und Expertiseforschung geht davon aus, dass die wesentlichen Faktoren zur Entwicklung von Höchstleistungen in frühen Begabungen – erkennbar an frühen Leistungen und Fähigkeiten (z.B. besondere Musikalität im Kindesalter) – und einem langjährigen, intensiven Training in einer Disziplin begründet sind. Entsprechend sind Programme zur Begabtenförderung bestrebt, die Besten in jungen Jahren auszuwählen und ihre Entwicklung durch intensives disziplinspezifisches Training weiter zu beschleunigen.
Allerdings ist genau das offenbar nicht der ideale Weg der Nachwuchsförderung, wie Arne Güllich, Professor für Sportwissenschaft an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität, Brooke N. Macnamara, Professorin für Psychologie an der Purdue University, David Z. Hambrick, Professor für Psychologie an der Michigan State University, und Michael Barth, Assistenzprofessor für Sportökonomie und Sportepidemiologie an der Universität Innsbruck, herausgefunden haben.
„Bislang hat sich die Begabungs- und Expertiseforschung vor allem auf junge Menschen konzentriert: Schüler:innen und Studierende, jugendliche Athlet:innen, Musiker:innen in Musikschulen und Konservatorien. Es wurde sich nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt, wie sich Menschen entwickelt haben, die tatsächlich später, im Höchstleistungsalter, die Weltspitze in ihrer jeweiligen Disziplin darstellen. Aber genau jene Differenzierung – und damit Präzisierung – von Leistung hinsichtlich Alter und Niveau war ein entscheidender Baustein zur Erlangung der nun vorgelegten Erkenntnisse“, erklärt der Innsbrucker Sportwissenschaftler Michael Barth.
Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen zusammengeführt
Für die Überblicksstudie hat das Forschungsteam umfangreiche Daten aus vielen Originalstudien neu analysiert. Untersucht wurde die Entwicklung von insgesamt 34.839 internationalen Höchstleistenden. Dazu zählen Nobelpreisträger:innen, Olympiamedaillengewinner:innen, Schachgroßmeister:innen und renommierte klassische Komponist:innen. Die Studie zeigt, dass Top-Performer:innen eine andere Entwicklung durchlaufen als bisher von Forschung und Praxis angenommen. Die Ergebnisse zeigen ein konsistentes Muster über die Disziplinen hinweg:
- Die Besten in jungem Alter und die späteren Besten im Höchstleistungsalter sind nicht dieselben Personen, sondern überwiegend verschiedene Menschen.
- Diejenigen, die die Weltklasse erreichen, zeigten in ihren frühen Jahren eine eher allmähliche Leistungsentwicklung und gehörten noch nicht zu den Besten ihres Alters.
- Spätere Höchstleistende haben sich nicht früh auf eine Disziplin spezialisiert, sondern engagierten sich zunächst in verschiedenen Disziplinen (z. B. verschiedene Studienfächer, Musikgenres, Sportarten, Berufe).
Bessere Passung – mehr Kompetenzen – weniger Risiken
Wie lassen sich die Ergebnisse erklären, die deutlich von dem abweichen, was die gängige Meinung darstellt? Die Autor:innen diskutieren hier drei Erklärungsansätze: Die
Search-and-Match Hypothesis, die
Enhanced-Learning-Capital Hypothesis und die
Limited-Risks Hypothesis.
Zusammenfassend besagen diese Hypothesen, dass man durch die Erfahrungen in mehreren Disziplinen bessere Chancen hat, im Laufe der Jahre eine optimale Disziplin für sich zu finden. Gleichzeitig werden durch die unterschiedlichen Lernerfahrungen in verschiedenen Disziplinen Lernkompetenzen ausgebaut, die das spätere fortlaufende Lernen auf höchstem Niveau in einer Disziplin verbessern. Das multidisziplinäre Engagement – so die Limited-Risks Hypothesis – dämpft die Risiken entwicklungshindernder Faktoren: etwa ein Motivationstief, Burnout oder in motorischen Disziplinen (Sport, Musik) Verletzungen. „Wer eine optimale Disziplin für sich findet, die besten Lernkompetenzen entwickelt und verminderten Risiken für entwicklungshindernde Faktoren ausgesetzt ist, verfügt später über bessere Chancen, Weltklasse-Leistungen zu erbringen“, so die Wissenschaftler:innen.
Implikationen für die Nachwuchsförderung
Aus den Ergebnissen folgt, dass eine zu frühe Spezialisierung auf eine Disziplin kontraproduktiv sein kann. Junge Menschen sollten ermuntert werden, mehreren Interessensgebieten nachzugehen, und durchaus in zwei bis drei Disziplinen gefördert werden – auch wenn diese inhaltlich nicht unmittelbar zusammenhängen (etwa Sprache und Mathematik oder Geografie und Philosophie).
Auf Grundlage dieser neuen Erkenntnisse können Wissenschaftler:innen die Theorieentwicklung in der Begabungs- und Expertiseforschung vorantreiben. Ebenso sollten sie ein Anstoß für Politik und Programm-Manager:innen sein, existierende institutionelle Rahmenbedingungen zu hinterfragen und ein verändertes, evidenzbasiertes Handeln zu fördern. „Mit solchen Bemühungen sollte es gelingen, die Entwicklung von mehr Weltklasse-Leistungen in unterschiedlichen Disziplinen wie Wissenschaft, Musik, und Sport – und potenziell auch in anderen Feldern – besser zu fördern,“ resümiert Michael Barth.
Publikation: Recent discoveries on the acquisition of the highest levels of human performance. Arne Güllich, Michael Barth, David Z. Hambrick, Brooke N. Macnamara.
Science 2025. DOI:
10.1126/science.adt7790